Scharfrichterhaus

Das zweitälteste Haus mit der ass117 ist im Inneren erheblich umgebaut. Es dürfte damals das letzte Haus der Meinstraße gewesen sein, da Nachrichter und Abdecker als unehrenhafte Berufe galten.

Während das Haus spätere Brandkatastrophen überstanden hat, ist es bei dem Großfeuer 1604/05, das einen großen Teil von Vorsfelde vernichtet hat, auch abgebrannt. Der Wiederaufbau 1606 im fränkisch-thüringischem Haustypus beachtete die Bedürfnisse eines Scharfrichterberufes mit Kellerverlies, Folterkammer und Wohnung. Auf der Wetterfahne findet sich die Jahreszahl 1607. Wegen des damals hohen Grundwassers ragt der Keller 1,2 m aus dem Boden. Das Haus hatte einen Schornstein und war mit Ziegeln gedeckt. In „Die Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Helmstedt“ findet sich folgende Beschreibung: Die Balkenköpfe unter dem Dach sind unten gerundet und gegen oben abgesetzt … Das Dach über dem zurücktretenden Theil des Hauses kragt mittels freistehender Kopfbänder von geschwungenem Profil weit vor. Die Unterstube hat ein seitliches Fenster. In der Beilage der WAZ (25.5.1973) wird die Balkeninschrift „Bliew butten, oder ik smiet dik oppe Snut“ angegeben.

Bauzeichnung des Scharfrichterhauses aus Bau- und Kunstdenkmäler des Herzogthums Braunschweig

Unter der Gerichtsbarkeit der Herren von Bartensleben für Vorsfelde und Fallersleben vollzog der Scharfrichter die Folterungen und die Urteile. Daneben übte er Scharfrichter auch „ärztliche“ Tätigkeiten aus. So heißt es in einem Zeugnis der von Bartensleben für Hans Pfeffer: „Hierneben auch zur Heilung unterschiedlicher vieler Arm- und Beinbrüche, auch zur Einrichtung verrückter Glieder sich gebrauchen lassen und die Patienten glücklich courieret.“

Zeichnung Reinhold Spatz, Scharfrichterhaus rechts

Der älteste bekannte Scharfrichter ist Andreas Engelke.

1609 übernahm Heinrich Ingermann als Pachtinhaber der „Meisterey und Abdeckereygerechtsame“ der Ämter Fallersleben und Vorsfelde. Er war 1559 noch Gehilfe des Helmstedter Scharfrichters.

1630 folgte Meister Hans Pfeffer, Scharfrichter zu Vorsfelde und bewirbt sich 1660 nach Braunschweig mit dem oben erwähnten Zeugnis der von Bartensleben.

1664 tritt Meister Nikolaus Fahnert sein Amt an. Er ist am 20.1.1695 gestorben.

Sein Sohn Hans Christoph führt das Amt zunächst weiter und geht aber 1710 nach Königslutter.

Ab dieser Zeit bleibt der Posten des Scharfrichters in der Familie Löwe.

1716 Johann Löwe

Gefolgt von Johann Nikolaus Löwe, gestorben am 21.5.1782, danach sein Sohn Johann Conrad Löwe, bis zu seinem Tod am 5.2.1801.

Mit Andreas Buchholz schließlich, der 1804 die Witwe des Johann Conrad Löwe heiratet, geht dann die Reihe der Vorsfelder Scharfrichter zu Ende.

1842 Erwirbt Familie Nacke das Haus. Die Folterwerkzeuge werden verschrottet und das zweihändige Richtschwert mit der Gravur „Tue nichts Böses, so geschieht dir nichts Böses“ wird dem Superintendenten zur Aufbewahrung übergeben. Dieser leitet es weiter ins Landesmuseum. Seit dem Weltkrieg gilt es als verschollen.

Im weiteren sind folgende Besitzer bekannt: 1855 Friedrich Nacke, 1866 Ludwig Nacke, Maurermeister;

3.6.1896 erwirbt Gastwirt Theodor Oehlmann mit Ehefrau Anna geb. Hilger das Haus und vererbt es 1937 seinem Sohn Postinspektor Walter Oehlmann, der sofort an Karl Possiel verkauft.

Karl Possiel erhielt die Auflage eines neu anzulegenden Abwassergrabens mit Ableitung in die Meine. Das stark vernachlässigte Gebäude konnte erst später saniert werden. 1948 wurde die Hausnummer in 14 geändert.

1950/51 nach dem 2. Weltkrieg konnten endlich erhebliche Sanierungs- und Umbauarbeiten und weitere Anbauten erfolgen. Der Wunsch nach Abriß der Straßenfront wurde nach Anhörung des braunschweigischen Landeskonservators untersagt.

Aus WAZ 26./.27. MAI 1979

1676 hatte der Bürgermeister Kriegeisen vor dem Haus einen Kastanienbaum gepflanzt und 300 Jahre freuten sich die Vorsfelder an seinem Anblick. Am Himmelfahrtstag 1979 (24.5.79) wurde der mächtige Baum von einem Sturm umgestürzt.

1995 meinte Karl Possiel in einem Interview der WAZ beim Blick in den Keller „Wer hier während der Geisterstunde Kuckuck ruft, hat keinen Kopf mehr, aber auch keinen weniger“.

Scharfrichterhaus heutiger Zustand
Balkeninschrift über dem Eingang des Scharfrichterhauses

Literatur:

Marina Possiel, Die Geschichte unseres Hauses, 1971, Abschlußarbeit Realschule Vorsfelde

Alfred Ristau, Das Scharfrichterhaus von 1607

P. J. Meier, Die Bau- und Kunstdenkmäler des Herzogthums Braunschweig, 1. Band die Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Helmstedt, Verlag von Julius Zwissler, Wolfenbüttel 1896, S. 154 folgende

Beschreibung des „Flecken Vorsfelde“, 1760, Abschrift vom 2.10.1897, Stadtarchiv Abt Vo, S. 50

Wilhelm Spangenberg, Vorsfelder Chronik, Drömling –Druck für Heimatverein Vorsfelde, 1975, S. 172

Grundsteuer Cataster Vorsfelde, Juni 1871, Ortsarchiv Vorsfelde Nr. RFo 1

Aller-Zeitung

Dr. Meinhardt Leopold